Im letzten Jahr, als keiner mehr den Flüchtlingsstrom, der über die europäischen Länder hereinbrach und -bricht, ignorieren konnte, wurden überall an jedem Tisch Diskussionen darüber geführt. Ängste und Solidaritätsbekundungen wurden ausgetauscht. Aber auch Erwartungen, die an die Flüchtlinge gestellt werden.
Angesichts der Flüchtlinge um mich herum fragte und frage ich mich, ob ich überhaupt fassen kann, was sie verloren haben und welchen Gefühlen sie auf der langen Flucht ausgesetzt waren. Kann man in einer fremden Welt, in der man die Sprache und die neuen Abläufe noch nicht versteht, seiner Identität treu bleiben? Diese Suche nach einer neuen Heimat wird im Jahr 2030 sicherlich noch nicht abgeschlossen sein und wird die verschiedenen Wanderungsrouten nur noch schärfer konturieren.
Zum Nachdenken darüber wurde ich u.a. durch die achte Ausschreibung der Kap-Hoorn ART in Bremen angeregt. Das Thema der Ausstellung „Kunst in der Halle 2016“ lautet „planet eARTh – agenda 2030“. Künstler_innen wurden aufgefordert, sich künstlerisch mit den Fragen auseinander zu setzen, „wohin die Zukunft den einzelnen Menschen, unsere Gesellschaft, Länder, Kulturen und letzten Endes alle Lebewesen auf dem Planeten Erde führt? Und wo könnte sie uns hinführen, wenn erweiterte Denkansätze und Entscheidungen im Sinne einer „agenda 2030“ zeitnah umgesetzt würden?“
Ich verwendete als Grundlage mein Triptychon Im braunen Strom, das 2003 entstanden ist. Normalerweise ist natürlich etwas mehr Abstand zwischen den einzelnen Leinwänden, die für das Foto hier nebeneinander gestellt worden sind.
Schon damals erinnerte mich der weiße Komplex auf dem linken Bild an eine städtische Silhouette, die so nicht für eine deutsche Topographie typisch ist. Wahrscheinlich war es neben der panoramahaften Anordnung genau das, was mich zum Triptychon greifen ließ.
Ein Zeitungsartikel über den Zahlungsdienstleister Western Union, der sich als Wegbegleiter des Flüchtlingsstroms satt wächst, machte den Anfang: Schnipsel des Artikels kamen auf die mittlere Leinwand und wurden mit Farben verbunden. Eine imaginäre Route, bestehend aus dem Wechsel von Hoffnung und Angst, führt durch ein imaginäres Land. Flankiert wird sie im linken Bild von der Heimat, in der das ICH (das für die Herkunft, Zugehörigkeit und Identität steht) gar nicht in Frage gestellt wird. Im rechten Bild dagegen gerät dieses selbstverständliche Ich ins Wanken. Scheinbar gerettet wird weiterhin täglich ums Überleben an diesem neuen Lebensort gekämpft. Für manche wird er später vielleicht Heimat bedeuten, für viele andere nicht.
Das Triptychon kann man – zusammen mit zwei weiteren meiner Bilder – am 21. und 22. Mai 2016 auf der Kap-Hoorn ART „Die Achte“ in Bremen sehen. Dort zeigen über 50 nationale und internationale Künstler ihre Vorstellungen zu planet eARTh – agenda 2030.