„Da musst du unbedingt hingehen und dir die Zeichnungen auf Acryl anschauen!,“ empfahl mir meine Mutter die temporäre Ausstellung von Juliane Ebner im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus. In den Kunstraum des deutschen Bundestags gelangt man, indem man an der Spree am Schiffbauerdamm entlang läuft und schräg gegenüber des Reichstagsgebäudes durch eine unscheinbare Tür geht. „Verhalten“ ist mein Eindruck, nachdem ich die Sicherheitsschleuse passiert habe und in dem halbdunklen Raum stehe. Das Mauer-Mahnmal, das hier seinen ständigen Platz bekommen hat, weist meinen Blick chronologisch durch den Raum. Jedes Mauerstück steht für ein Jahr, in dem die Mauer zwei Länder trennte. Jedes Jahr wird mit den Menschen, die dort zu Tode kamen, gleichgesetzt.
Am Ende der Mauer ist eine Wand platziert, auf der auf magentarotem Untergrund 270 schmale, gelochte Zeichnungen fixiert wurden. Doch mich zieht es hinter die Mauer, die den Raum diagonal teilt. Auf der Rückseite sind in spartanischer Anordnung drei große Acrylplatten zu sehen, auf die Zeichnungen gedruckt worden sind. Ich nehme zumindest an, dass sie aufgedruckt wurden. Sie sind in ihrer Dichte sehr beeindruckend und die Anordnung unterstützt den Eindruck. Am Ende des Raums ist ein Monitor zu sehen, der Juliane Ebners Film Landstrich zeigt.
In ihrem Film erzählt Juliane Ebner die Geschichte ihrer Großmutter, die von ihrem Mann eine Aufgabe bekam, als er in den Krieg zog: „Nach dem Krieg hatte meine Großmutter ein schlechtes Gewissen, weil sie noch lebte. Ihr Mann hatte ihr eine Pistole gegeben und gesagt, wenn der Russe käme, solle sie zuerst die Kinder und dann sich selbst erschießen, und das hatte sie nicht getan.“¹ Was diese Weigerung mit sich bringt, erschließt sich durch Text und Film.
Leider ist der Film kaum sichtbar, da die Lichtverhältnisse ungünstig sind. Doch anhand der übrigen Exponate ist die narrative Auseinandersetzung trotz allem zu erkennen.
Hinter dem Monitor ist noch ein kleiner offener Raum entstanden, der viele kleine, verschieden lange Acrylplatten enthält. Von ihnen geht eine Faszination aus. Die Zeichnungen darauf sind dicht, teilweise farbig gehöht oder übereinander gelagert.
Auf einem langen magentaroten Karton hat Juliane Ebner ihre Skizzen, die sie zu ihren Erinnerungen angefertigt hat, angeordnet. Sie wirken unaufgeregt, fragmentarisch, linear schwebend auf dem Blatt. Erinnerungs- und Gedankenfetzen, die vorerst nur in ihrem Kopf und in denen ihrer Familie eine Zuordnung finden werden. Doch nach einigem Hinsehen erkennen wir Teile der Zeichnungen hinter den Acrylplatten. Als erstes hat sie die Skizzen auf Folie kopiert, um diese anschließend nebeneinander und übereinander im Sandwichverfahren zu ordnen und somit Verbindungen zwischen den einzelnen Fragmenten herzustellen. Einige haben noch durch Farben eine Pointierung erhalten.
Wie sie das macht und konzipiert, kann man anhand eines Films über Juliane Ebner sehen, in dem sie die Produktion einer älteren Arbeit beschreibt.
Die biografische Auseinandersetzung erhält in Juliane Ebners Arbeit eine Vielschichtigkeit, die sie in einem parallel entstehenden Kontext aus Texten, Zeichnungen, Überlagerungen und einem daraus zusammengestellten Film entwickelt.
Die sehenswerte Ausstellung kann noch bis zum 30. April 2017 besucht werden.
¹ Ebner, Juliane (2016): Landstrich. Ein Film und seine Bilder. Ausstellungstext.
- “Landstrich – ein Film und seine Bilder”
in der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages
Marie-Elisabeth-Lüders-Haus
Schiffbauerdamm
10117 Berlin
Eingang an der Spree,
gegenüber dem Reichstagsgebäude
Eintritt ist frei
18. Januar bis 30. April 2017